Montag, April 04, 2011

Life is a Remix - Heute: Klassik

Am Wochenende waren wir im Sinfoniekonzert. Im Programmheft stand zu Brahms:
Brahms Musik ist durch feste, klare Formen charakterisiert, die oft klassischen Mustern folgen – und dies zu einer Zeit, als viele Komponisten sich von strengen formalen Strukturen lösten, die sie als einengend empfanden.
Schon in einem früheren Konzert ist mir eine ähnliche Passage im Heft aufgefallen, die ich aber leider nicht mehr vorliegen habe. Dort war von den Einflüssen von Ungarischen Tänzen auf Tschaikowskis Werke die Rede. Das ganze passt ja ganz gut zur Everything is a Remix Theorie, mit der ich mich ja gerade beschäftige. Diese besagt, dass alles Neue, Kreative ein Produkt aus altem ist.
In der Pause dann kamen wir auch auf das Thema und die Aussage: Bach war so Innovativ und hat Sachen gemacht, die Teilweise erst 200 Jahre später offiziell erfunden wurden. Das mag jetzt vielleicht auf den ersten Blick als Gegenargument gelten, jedoch hat auch Bach auf dem Alten aufgesetzt. Wie gesagt, ich bin kein Musikwissenschaftler, und erst Recht kein Klassikfachmann und ich hoffe, dass ich mich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehne. Es folgen Zitate einer kurzen Bach-Wikipedia-Recherche.
Von Jugend auf studierte Bach die Werke unterschiedlichster Komponisten und lernte aus ihnen durch Hören, Lesen, Abschreiben, Transkribieren, Bearbeiten und Nachahmen der Musik sowie durch die Übernahme von kompositorischen Mitteln, Formen und Gattungen. […] In Bachs vielfältigem Werk treffen sich Einflüsse aus der Musik Mittel-, Nord- und Süddeutschlands bzw. Österreichs sowie Frankreichs und Italiens, wobei sich die regionalen Traditionen gegenseitig beeinflusst haben. [1]
Mit Ausnahme der Oper komponierte Bach Werke in allen zu seiner Zeit verbreiteten musikalischen Gattungen. [2]
So weit die Grobübersicht.
Der Text basiert auf dem 26. und 27. Kapitel des Matthäus-Evangeliums in der Übersetzung Martin Luthers sowie auf Dichtungen von Christian Friedrich Henrici (genannt Picander) und Barthold Heinrich Brockes, dazu kommen die Passionschoräle. [3]
Die Texte der Arien sowie der Chöre in den Sätzen 1, 22 und 39 entstammen weder der Bibel noch überlieferten Kirchenliedern. Ihr Verfasser ist unbekannt und die Bach-Forschung geht davon aus, dass diese frei hinzugedichteten Texte nicht von einem einzigen Librettisten stammen. Insbesondere gibt es keine gesicherten Hinweise darauf, dass Bach selbst ihr Autor wäre. [4]
Gut, das waren jetzt Hauptsächlich Texte. Aber immerhin, die Bibel als starke Inspirations- und Textquelle.
Für die äußere Form der Nummern 1, 2 und 3 diente Bach eine Missa brevis (Kyrie und Gloria in g-Moll) von Johann Hugo von Wilderer (1670-1724) als Vorlage, von der er sich eine Abschrift, wahrscheinlich 1731 in Dresden, angefertigt hatte. [5]
Sein Verfahren der Choralbearbeitung, das auf Vorbilder wie etwa Dietrich Buxtehude zurückgeht, führt zu eher kurzen Einzelsätzen, deren Form durch die Abfolge der Choralzeilen bestimmt wird. [6]
Das nächste ist etwas tricky, da sich Bach hier scheinbar selbst als Vorlage nimmt. Trotzdem ist es in diesem Zusammenhang wichtig: Das Parodieverfahren. Als Parodie wird hier ein Umschreiben vorhandener, weltlicher Werke in ein geistliches Werk verstanden.
Die Musik komponierte Bach nur zum Teil neu. Viele Chöre und Arien entnahm er zuvor entstandenen weltlichen Werken […]Wahrscheinlich hatte Bach bei der Komposition der Vorlagen die künftige Verwendung schon im Blick […] Vorhandene Stücke im Parodieverfahren wieder zu verwenden, war zu Bachs Zeit keine Seltenheit. Dahinter stand die Überzeugung von der Einheit geistlicher und weltlicher Musik. […] Eine wertende Unterscheidung zwischen Original und Bearbeitung war den Komponisten des Barock fremd. In der Sturm-und-Drang-Zeit und der ihr folgenden Romantik wurde das Bild vom künstlerischen Originalgenie herrschend, das in unvermittelter Inspiration das Einmalig-Große schafft. Noch nach der Mitte des 20. Jahrhunderts empfanden führende Musiker die nicht-originäre Entstehungsweise des Weihnachts-Oratoriums als peinlich. [7]
In Everthing is a Remix gibt es noch den Teil: From the sampler to the sampled. Das ganze gibt es auch bei Bach. Zum Beispiel bei der Kunst der Fuge. Das wird jetzt etwas lang, deshalb muss man hier selbst in der Wikipedia nachlesen: Die Kunst der Fuge - Kompositorische_Adaptionen
So damit möchte ich Schließen. Nur um das klarzustellen, es geht mir nicht darum irgendwelche Werke oder die Kreativität von Komponisten zu mindern. Im Gegenteil, die Aussage ist, für einen kreativen Prozess muss man das Vorhandene studieren, imitieren und dadurch erweitern.
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4 Kommentare:

Hugensius hat gesagt…

Sicherlich. Ein Künstler wird inspiriert von äußeren Einflüssen (was nicht nur andere Künstler, sondern beispielsweise die Natur, oder ein kaputter Stuhl sein kann). Und dennoch glaube ich, dass es auch (wenn auch einen kleinen Teil) von wirklicher Neuerung im Kunstschaffen geben kann:
1.) Durch fehlerhaft geleitete Ströme im Gehirn. Vielleicht macht das nur 5% der Kreativität aus, und dennoch mag es entscheidend sein. Wie sonst kann man sich sonst erklären, dass sich die Harmonie immer mehr erweitert hat? Um nur ein Beispiel zu geben: Irgendwer muss ausprobiert haben, zweistimmig zu singen (vorher gab es nur Einstimmigkeit).
2.) Durch "neue" genetische Veranlagungen (eine neue Kombination von Genen größtenteils, zugegebenermaßen - aber auch hier gibt es den Zufallsfaktor in Form von so genannten "Mutationen"): entsprechend neue Empfindungen, die man versucht, in Musik auszudrücken.

Ich glaube, man kann die Evolution der Musik mit der Evolution der Gene vergleichen. Siehe dazu auch das Konzept der "Meme" von Dawkins.

Unknown hat gesagt…

Ich denke wir gehen da auch konform.
Die Vergleich mit der Evolutionstherie finde ich sehr gut. Gerade solche Sprünge wie Zweistimmig, oder der Wechsel von einem auf zwei Plattenspieler können anders nicht entstehen.

Es hat sich nur irgendwie in letzter Zeit eine Negativhaltung gegen alles was nicht 100% neu/"kreativ" ist entwickelt. Wobei das wahrscheinlich auch so ein Älterwerd-Ding ist, das man halt so um die 30 wahrnimmt. Das beschäftigt mich gerade...

Hugensius hat gesagt…

Wobei ich auch oft Musik höre, bei der ich mir denke: Das gabs genau so schon tausend mal, und das auch noch besser.

Musik muss ja nicht 100% neu sein, aber originell sollte sie immer sein -- etwas neu kombinieren, oder eben etwas besser machen.

Der gute alte Miles sagte ja schon: "Don't play what's there, play what's not there". Das sollte eine Maxime eines jeden Musikers sein.

Es komponiert ja zum Glück niemand mehr wie Bach, weil davon gibt es genug, und weil es die Musik nicht nach vorne bringen würde.

Unknown hat gesagt…

Zu dem Thema bin ich grad was am planen dran. Hab sogar schon nen Rohentwurf. Stay Tuned!